
Das Hochwasser an Pfingsten im Jahr 1999 wurde zu einer Zäsur für die Diskussion um einen besseren Schutz vor Überschwemmungen im Freistaat. Nach starken Regenfällen kam es damals in Südbayern zu einer Flut,die fünf Menschen das Leben kostete und mehrere Hundert Millionen Mark an Schäden verursachte. Im niederbayerischen Neustadt (Landkreis Kelheim) standen zahlreiche Häuser nach einem Dammbruch teils tagelang in dem braunen Wasser der Donau,etliche Betroffene machten die Behörden für die Katastrophe verantwortlich.
Das Pfingsthochwasser sorgte dafür,dass die Staatsregierung ihre Bemühungen für einen Hochwasserschutz hochfuhr,milliardenschwere Investitionsprogramme wurden beschlossen. Gleichwohl sind auch ein Vierteljahrhundert später viele Orte nicht vor einer Überflutung geschützt - wie das verheerende Hochwasser vor rund einem Jahr in Süddeutschland zeigte.
Damals wie heute gibt es einen Streit darüber,was der richtige Weg zum Schutz vor Hochwasser ist. Umweltschützer sehen nach wie vor eine völlig falsche Strategie der Behörden,sie wollen Renaturierung begradigter Gewässer und weniger Deiche.
Sind Flutpolder die Lösung?
Schon im Jahr 2001 wurde beschlossen,die Gefahr durch den Bau zusätzlicher Flutpolder zu reduzieren. Dabei handelt es sich um großflächig eingedeichte Gebiete,die bei Hochwasser gezielt geflutet werden,um das Wasser zurückzuhalten.
Zentrale Bedeutung soll dabei einer Kette mit neun Poldern an der Donau zukommen. Der Flutpolder Riedensheim sei auch „seit 2020 technisch betriebsbereit“,berichtet das Landesamt für Umwelt in Augsburg. Doch mehr als zwei Jahrzehnte nach dem Grundsatzbeschluss heißt es zu dem Gesamtprojekt:„Die übrigen Standorte an der Donau befinden sich in verschiedenen Planungsstadien.“ Nach Angaben des Umweltministeriums in München wird der Bau der Polderkette sich bis in die 2030er-Jahre hinziehen.
Umstrittene Strategie
Dabei ist die Polderstrategie umstritten,nicht nur da Landwirte die Nutzung ihrer Flächen als Überschwemmungsgebiet oftmals kritisch sehen. Auch der stellvertretende Ministerpräsident Hubert Aiwanger (Freie Wähler) hatte sich immer wieder ablehnend geäußert,er sprach sogar einst von „größenwahnsinnigen Flutpoldern“. Nun ist es ausgerechnet sein Parteifreund Thorsten Glauber,der als Umweltminister das Flutpolder-Programm umsetzen muss.
Auch Naturschützer sehen darin nicht die Lösung der Probleme. „Bis heute ist die Wasserwirtschaft überwiegend auf immer höhere Dämme und den Bau von Flutpoldern fixiert“,kritisiert der Bund Naturschutz (BN). „Fließgewässer wurden in der Vergangenheit zu Wasserautobahnen ausgebaut“,sagt die BN-Naturschutzexpertin Christine Margraf. Dabei seien die Auen als natürliche Überschwemmungsräume durch Deiche vom Fluss abgetrennt worden. Ergebnis sei,dass das Wasser in den Bächen und Flüssen immer schneller nach unten fließe.
Umweltschützer wollen einen natürlichen Schutz statt Bauwerke
Der BN verweist darauf,dass Dämme brechen könnten. Zudem könnten Polder nur bei Extremereignissen helfen und seien „bei schlechter Steuerung nahezu wirkungslos“. Der BN fordert deswegen seit Jahrzehnten einen “Paradigmenwechsel“ - natürlicher Hochwasserschutz statt Bauten. Darunter seien beispielsweise eine regenspeichernde Landbewirtschaftung,die Renaturierung von entwässerten Mooren als künftige Wasserspeicher und die Verlangsamung des Abflusses an den zahlreichen kleinen Gewässern durch Wiederherstellung früherer Flussschleifen. „Die Wirksamkeit all dieser Maßnahmen ist nachgewiesen.“ Technische Maßnahmen könnten nur eine Ergänzung sein.
Umweltminister Glauber sagt,dass Hochwasserschutz eine gesellschaftliche Daueraufgabe mit verschiedenen Maßnahmen sei. „Von Dämmen und Rückhaltebecken,von Sturzfluten-Vorsorge über Deichrückverlegungen,von natürlichem Hochwasserschutz bis hin zu gesteuerten Flutpoldern – Hochwasserschutz geht nur ganzheitlich.“ Der Minister will das Wassergesetz ändern,damit Flutvorsorge künftig im besonderen öffentlichen Interesse sei. „Dadurch soll der Hochwasserschutz ein noch stärkeres Gewicht in behördlichen Abwägungen und möglichen gerichtlichen Verfahren erhalten.“
BN-Expertin Margraf sagt,dass eigentlich die Böden der zentrale Wasserspeicher sein sollten. Doch diese seien in der Vergangenheit verdichtet oder gleich ganz durch Bauten versiegelt worden. Wasserbremsende Strukturen wie Mulden oder Hecken seien entfernt worden. „In der Summe haben wir eine Landschaft,die Regen immer weniger aufnehmen und speichern kann.“ Letztlich komme das Wasser dadurch immer schneller in die Bäche. Der beste Schutz vor zu viel Regen sei eine sogenannte Schwammlandschaft,die das Wasser erst verzögert abgebe.
Auen wurden zerstört - und die verbliebenen sind selten intakt
Das Bundesamt für Naturschutz sieht das Problem der zerstörten Auen entlang der Gewässer ebenfalls. „Die Flussauen der großen Ströme und vieler kleiner Flüsse in Deutschland sind meist weit von ihrem natürlichen Zustand entfernt“,betont die Behörde. In Deutschland seien nur noch neun Prozent der vorhandenen Auen ökologisch intakt. Dabei sei überhaupt nur noch ein Drittel der ursprünglichen Auenfläche vorhanden.
Die Bundesbehörde sieht eine Häufung von katastrophalen Überschwemmungen in den vergangenen Jahrzehnten und bilanziert:„Das Ausmaß der Hochwasser ist teilweise eine Folge des oftmals verfehlten Umgangs mit unseren Flüssen und deren Einzugsgebieten.“
Deutschland besonders stark von Hochwasser betroffen
Der WWF (World Wide Fund For Nature) befürchtet,dass Hochwasser angesichts der Klimakrise künftig besonders stark Deutschland und die Nachbarstaaten treffen könnte. Der WWF verweist darauf,dass Hochwasser zwar zunächst einmal „ein natürliches Phänomen“ sei. Zu Ursachen wie ergiebigen Niederschlägen und der Schneeschmelze kämen jedoch menschliche Einflüsse. „Durch den Klimawandel werden Extremwetter wie Starkregen immer häufiger.“ Dies zeigten auch Studien. „Gerade im dicht besiedelten Mitteleuropa können die daraus folgenden Extremhochwasser zerstörerisch sein“,warnt die Naturschutzorganisation.
Das Umweltministerium in München verweist ebenfalls auf das Problem des Klimawandels. „Starkregen kann überall auftreten und den kleinsten Bach zum reißenden Fluss machen“,sagt ein Ministeriumssprecher. Im Jahr 2016 traf dies das niederbayerische Simbach am Inn. Damals verwüstete eine meterhohe Flutwelle den Ort.
Die Staatsregierung will,dass sich die Gemeinden auf solche Risiken vorbereiten. Kommunale Konzepte zum Sturzflut-Risikomanagement würden mit 75 Prozent der Kosten gefördert,sagt der Ministeriumssprecher.