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Grüne Wiesen im Watt:Forscher wollen Seegras-Schwund stoppen

Seegraswiesen sind Lebensraum für Meeresbewohner und speichern klimaschädliches CO2. Experten untersuchen die grünen Halme daher genau.

Niedersachsen,Nordsee:Ein Priel zieht sich durch das ostfriesische Wattenmeer.
(Sina Schuldt/dpa)

Die grünen,grasähnlichen Halme,die aus dem Wattboden zwischen der Insel Norderney und dem Festland im Wasser wachsen,sind an der niedersächsischen Nordseeküste seltener zu finden. Anders als man zunächst vermuten könnten,handelt es sich nicht um Algen. Es ist Seegras. Dass die Vorkommen dieser unscheinbar wirkenden Pflanzen weniger werden,alarmiert Experten. Denn die grünen Halme haben es in sich.

"Dieser Rückgang treibt uns um und macht uns Sorgen",sagt Ute Schlautmann,Leiterin der in Niedersachsen zuständigen Betriebsstelle Brake-Oldenburg des Landesbetriebs für Wasserwirtschaft,Küsten- und Naturschutz (NLWKN). Denn Seegraswiesen wird große Bedeutung zugemessen - für den Lebensraum im Unesco-Weltnaturerbe Wattenmeer,aber auch als natürlicher Klimaschützer.

Für Fischarten sind die Pflanzen eine Art Kinderstube,in denen sie ihre Eier ablegen könne. Ringelgänse und Pfeifenten finden dort Nahrung. "Seegraswiesen sind zuletzt auch stärker in den Fokus geraten,weil sie auch als wichtige Speicher für Kohlenstoff und Stickstoffverbindungen zum natürlichen Klimaschutz beitragen können",sagt Schlautmann.

Bei einer internationalen Fachtagung in Wilhelmshaven treffen sich am Mittwoch rund 80 Experten aus Deutschland,Dänemark und den Niederlanden,um gemeinsam zu überlegen:Wie lässt sich der Rückgang der Seegraswiesen stoppen?

Wie sich die Bestände entwickelt haben

Die Lage an der niedersächsischen Küste ist dramatisch. Dort werden die gesamten Seegrasbestände alle sechs Jahre kartiert. Dazu suchen Experten bekannte Wiesen und Verdachtsorte bei Ebbe auf und messen mit einem GPS-Gerät die Flächen. Die Vorkommen liegen zwischen den ostfriesischen Inseln und dem Festland sowie in Flussmündungen und an Dollart und Jadebusen.

"Die letzte großangelegte Kartierung 2019 ergab,dass die Bestände erneut rückläufig sind,sogar extrem rückläufig. Auffällig ist auch,dass die Bestände zunehmend dünner werden",sagt Schlautmann. Bis in die 1990er Jahre hatte es schon einmal einen größeren Rückgang gegeben. Danach erholten sich die Bestände bis Anfang der 2000er Jahre. 2019 stellten Wissenschaftler dann einen starken Rückgang von mehr als 70 Prozent im Vergleich zur Erhebung 2013 fest:Auf insgesamt 8,6 Quadratkilometern wurden Seegraswiesen gefunden - das entspricht einer Fläche etwas größer als die Insel Baltrum.

Warum Forscher pessimistisch sind

In diesem Sommer steht wieder eine Gesamtkartierung an. Marc Herlyn,der beim NLWKN für das Monitoring zuständig ist,fürchtet,dass die Bestände im Vergleich zu vergangenen Erhebung noch weiter zurückgegangen sein könnten. Darauf deuteten Auswertungen von sechs einzelnen Seegraswiesen-Flächen,die jährlich untersucht werden,sowie Studien der Universität Oldenburg.

"Gerade die letzten Jahre haben gezeigt,dass es dort ganz massive Rückgänge gegeben hat. Das betraf alle untersuchten Einzelflächen ohne Ausnahme",sagt Herlyn. Daher sei er gespannt,was die Kartierung ergebe. "Wir können nicht damit rechnen,dass das besonders gut aussehen wird."

Wie es anderswo im Wattenmeer aussieht

Anders ist die Lage dagegen im Wattenmeer an der Küste von Schleswig-Holstein. Dort sind die Bestände deutlich größer. Nach Angaben der Nationalparkverwaltung dort schwankt die maximale Flächenbedeckung der Seegraswiesen seit 2012 jährlich um einen Wert von 160 Quadratkilometer.

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Die Seegrasbestände hat auch das trilaterale Wattenmeersekretariat in Wilhelmshaven im Blick. Sie sind Teil des Monitorings der Wattenmeerstaaten,um Veränderungen bewerten zu können. Mit mehr als 200 Quadratkilometern Fläche umfasse das Wattenmeer das größte Seegrasgebiet Europas,hieß es in dem letzten Statusbericht von 2017. "Die Bedeckung der Seegraswiesen ist jedoch regional sehr unterschiedlich,und es bleibt ein Rätsel,warum 80 Prozent des Seegrases im nördlichen Wattenmeer vorkommen."

Erfahrungsaustausch auf Tagung

Bei der Tagung in Wilhelmshaven wollen Behördenvertreter,Wissenschaftler und Naturschützer Erfahrungen und Wissen austauschen. "Wir fragen uns zum einen,was können Ursachen für den Rückgang sein. Und zum anderen wollen wir wissen,was kann man dagegen machen",sagt Schlautmann.

Niedersachsen verfolge den Ansatz,zunächst besser verstehen zu wollen,warum Seegräser verschwinden,um dann in einem nächsten Schritt ermitteln zu können,wie sich Belastungen minimieren ließen,sagt Sylvia Zaun,Wissenschaftlerin beim NLWKN und verantwortlich für die Tagung. Auf diese Weise könnten sich Seegräser auf natürlichem Wege wieder ausbreiten.

Trübung,Hitzestress und Meeresspiegelanstieg

Welche Einflüsse den Seegraswiesen zusetzten,werde zurzeit untersucht. "Wir gehen im Moment von multikausalen Zusammenhängen aus und wir denken,dass diese sich gegenseitig stark beeinflussen",sagt Zaun.

Forscher gehen etwa der Frage nach,inwieweit eine stärkere Trübung des Wassers in der Nordsee den Seegräsern schadet. Denn Seegräser betreiben wie Bäume an Land Photosynthese. Dafür benötigen sie Licht. Es gebe Hinweise darauf,dass sich die Trübung in der Nordsee in den vergangenen Jahrzehnten erhöht habe,sagt Zaun. "Man geht davon aus,dass durch die Trübung auch die Lichtverfügbarkeit abnimmt. Das heißt,wenn die Pflanzen,die auf Photosynthese angewiesen sind,weniger Licht bekommen,können sie nicht mehr so gut wachsen und gehen womöglich stärker zurück."

Der Grund für mehr feine Sedimente im Wasser könne etwa an Baggerarbeiten für Flussvertiefungen oder Häfen liegen. Trübungen könnten aber auch durch natürliche Prozesse wie Strömungen und Sturmfluten ausgelöst werden,sagt Zaun. Oder durch zu große Nährstoffeinträge - die sogenannte Eutrophierung.

Auch veränderte Umwelt- und Klimabedingungen werden diskutiert. Etwa könnten sich Lebensräume durch einen steigenden Meeresspiegel verändern. Auch die globale Erwärmung,die mit zunehmend heißen Tagen auch das Wattenmeer treffe,könne einen Einfluss haben,sagt NLWKN-Experte Herlyn. "Ich denke,für Seegräser in unseren Breiten ist es eine zusätzliche Belastung,wenn das Niedrigwasser und solche Hitzetage zusammenfallen."Im schlimmsten Fall könnten Seegrasblätter auf dem Wattboden austrocknen.

Warum Seegraswiesen dem Klimaschutz nützen können

Das Interesse an Seegraswiesen richtet sich auch auf die Vorteile für den Klimaschutz. Denn wie intakte Moore können sie größere Mengen Kohlendioxid speichern. "Angesichts der sich beschleunigenden Auswirkungen des Klimawandels besteht ein zunehmendes Interesse an der Bewertung des Potenzials für die CO2-Bindung im Wattenmeer",teilt das Wattenmeersekretariat auf Anfrage mit.

Geforscht wird deshalb auch an aussaatbasierten Renaturierungsmethoden,zum Beispiel am Geomar Helmholtz Zentrums für Ozeanforschung in Kiel. Ob eine solche Methode künftig auch in Niedersachsen angewendet werden könnte? Ute Schlautmann will sich noch nicht festlegen. Sie verweist auf Erfahrungen,die es mit der Wiederansiedlung gibt. "Je nach Seegrasart ist es sehr verschieden,was funktioniert und was nicht. Da wird gerade viel dran geforscht."Auch dazu soll es in Wilhelmshaven neue Erkenntnisse geben.

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